Sexarbeit ist seit 1942 in der Schweiz legal und steht unter der verfassungsmässigen Wirtschaftsfreiheit. Bei der Sexarbeit wird eine sexuelle Dienstleistung gegen ein Entgelt erbracht. Personen, die sexuelle Dienstleistungen anbieten, haben wenig Rechte und sind vielfältigen Diskriminierungen ausgesetzt.
Eine Frau, von der bekannt ist, dass sie als Sexarbeiterin tätig ist, findet nur mit grosser Mühe eine Wohnung. Die Abwertung erschwert es zudem einen neuen Beruf zu finden wenn die Sexarbeiter*in sich neu orientieren möchte: Wer sich für eine andere Stelle bewirbt, muss einen lückenlosen Lebenslauf vorweisen können.
Es gibt Frauen, die als Betroffene von Menschenhandel zur Sexarbeit gezwungen werden. Aber Sexarbeit ist nicht dasselbe wie Menschenhandel. Es gibt selbstbestimmte Sexarbeit. Selbstbestimmung in der Sexarbeit heisst, dass Sexarbeiter*innen selbst entscheiden, welche Dienstleistung sie anbieten, welche Kund*innen sie bedienen und wieviel ihre Dienstleistung kostet. Sie verfügen selbst frei über ihren Verdienst. Auch in den Fällen, in denen Sexarbeit aufgrund mangelnder Alternativen als Überlebensstrategie ausgeübt wird, kann sie selbstbestimmt ausgeübt werden.
Zu Beginn der Corona Pandemie wurde die Sexarbeit schweizweit vorübergehend verboten. In der zweiten Welle hat der Kanton Zürich dann mit dem Entscheid, die Sexarbeit über sechs Monate zu verbieten, die härteste Massnahme in der Schweiz beschlossen. Dem Arbeitsverbot standen wir stets kritisch gegenüber. Ein Blick zurück zeigt, welche Auswirkungen die Massnahme hatten.
Das Verbot brachte die Sexarbeiter*innen in eine schwere finanzielle Notsituation. Da nicht alle Sexarbeiter*innen sozialhilfeberechtig sind oder Erwerbsausfallersatz beantragen können, fehlte es vielen an der Möglichkeit einer finanziellen Kompensation. So begegneten wir in der FIZ während den beiden Arbeitsverboten Sexarbeiterinnen in äussersten Notsituationen. Die Klientinnen konnten kein Essen mehr kaufen, die Miete nicht bezahlen, ihre Kinder und Familien nicht unterstützen. Auch wenn sich Viele vor einer Infektion mit Corona fürchteten - denn Sexarbeiter*innen wissen, dass ihre Gesundheit die Grundlage für ihre Arbeit ist - zwang die finanzielle Situation sie zum Weiterarbeiten. Doch dieses Arbeiten war anders als vor der Pandemie. Die Illegalität brachte die ohnehin bereits vulnerablen Arbeiter*innen in einen noch grössere Prekarität:Die Nachfrage nach käuflichem Sex ist aufgrund des Arbeitsverbots stark gesunken. Die geringe Nachfrage zwang jene Sexarbeiter*innen, die in grosser finanzieller Not waren, alle Kund*innen anzunehmen und dabei auch ungewollte Praktiken anzubieten. Ein Teil der Kund*innen nutzte dies gnadenlos aus und setzten Sex ohne Gummi oder absurd tiefe Preise durch. Dies führte dazu, dass die Positivitätsrate der STI-Tests von 20% vor der Pandemie auf 57% angestiegen ist[1]. Zudem zeigt der ProCoRe Expertinnenbericht, dass die Gewalt an Sexarbeitenden und ungewollte Schwangerschaften stark angestiegen sind.
Laut der ZHAW Studie, haben sich die Arbeitsbedingungen für Sexarbeiter*innen in der Pandemie enorm verschlechtert[2]. Diese Beobachtung haben wir auch gemacht. Zudem zeigt der Lagebericht von ProCoRe zur Situation der Sexarbeit zu Beginn des Jahres 2022, dass die Preise nachhaltig stark gesunken sind[3]. Die Einnahmen sind teilweise um mehr als 50%, im Vergleich zu vor der Pandemie, zurückgegangen. Obwohl dieses Problem bekannt ist, lehnen einige Kantonen die Anträge auf Erwerbsentschädigung von Sexarbeitenden ab. Die Stigmatisierung der Sexbranche hat nochmals zugenommen. Die Branche wird als soziales Problem dargestellt und so behandelt. Für die Arbeiter*innen haben das Arbeitsverbot und die anderen Massnahmen somit auch noch ein Jahr später drastische Konsequenzen. Eine Illegalisierung verunmöglicht selbstbestimmtes Arbeiten also nicht nur unmittelbar während des Verbotes, sondern prekarisiert die Arbeitsbedingungen längerfristig.
Gerade hinsichtlich der Debatte zum sogenannten „Schwedischen Modell“ ist es wichtig zu sehen, dass eine Illegalisierung der Branche die Arbeits- und Lebensbedingungen der die Sexarbeiter*innen verschlechtert und keineswegs verbessert. Es zeigt sich einmal mehr, dass Sexarbeit eine legale Arbeit bleiben muss!
[1] Vgl. Expertinnenbericht ProCoRe (2021), Link: https://procore-info.ch/wp-content/uploads/2021/03/ProCoRe_Expertinnenbericht_Covid19_Sexarbeit.pdf [Stand: 22.02.2022]
[2] Vgl. ZHAW Studie: Auswirkungen der Massnahmen gegen die Covid-19-Pandemie auf Sexarbeit und Sexarbeitende in Zürich (2022), https://www.zhaw.ch/de/forschung/forschungsdatenbank/projektdetail/projektid/4916/ [Stand: 22.02.2022]
[3] Vgl. Lagebericht ProCoRe (2022), Link: https://procore-info.ch/news/procore-expertinnenbericht/ [Stand:22.02.2022]